Kanzlei Nieder
Rechts- und Steuerberatung

Praktische Umsetzung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht in Bezug auf Lieferantenbeziehungen.

Gut gedacht aber schlecht gemacht?

 

In Ihrer Ansprache am 17.03.2020 bezeichnete die Bundeskanzlerin die Corona-Krise als größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg. Nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch das Wirtschaftsleben wird auf eine harte Probe gestellt.

Im Eiltempo werden daher aktuell auf Landes- und Bundesebene Gesetze beschlossen, welche insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen und Arbeitsplätze sichern sollen. Die Maßnahmen reichen hierbei von der Erleichterung der Anordnung von Kurzarbeit, über Steuerstundungen bis hin zur Gewährung von Unterstützungsgeldern.

Mit einem weiteren Gesetzesentwurf sollen die Folgen, welche sich gerade auch für das produzierende Gewerbe aus den weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, wie z.B. der Schließung von Gastronomiebetrieben ergeben, abgemildert werden.

Durch eine Anpassung der zivilrechtlichen Regelungen soll es den betroffenen Unternehmen, welche aufgrund von Umsatzeinbußen wegen der Corona-Pandemie Verbindlichkeiten nicht begleichen können, ermöglicht werden, sich vorübergehend auf ein Leistungsverweigerungsrecht zu berufen. Darüber hinaus sollen die Möglichkeiten Mietverhältnisse (egal ob privat oder gewerblich) aufgrund eines Zahlungsverzuges zu kündigen vorübergehend eingeschränkt werden.

Mit dem Entwurf nimmt der Gesetzgeber ein wesentliches und bisher unzureichend berücksichtigtes Problem in Angriff. Eine genaue Betrachtung des Gesetzesentwurf zeigt jedoch, dass die vorgeschlagenen Regelungen insbesondere im Bereich von Lieferketten nicht ausgereift sind und eine Vielzahl von Fragen offenlassen.

 

I.             Einseitige Betrachtung der Vertragspflichten

 

Nach dem Gesetzesentwurf soll § 240 des Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) wie folgt geändert werden:

 

§ 1

Moratorium

(1) Ein Schuldner hat das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Vertrag steht, der vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. September 2020 zu verweigern, wenn der Schuldner infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (SARS-CoV-2-Virus-Pandemie) zurückzuführen sind,

1. die Leistung nicht erbringen kann oder

2. die Erbringung der Leistung nicht möglich wäre ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs.

(2) Absatz 1 gilt nicht,

1. wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände für den Gläubiger unzumutbar ist, […]

 

Hat also beispielsweise ein Kunde vor dem 08.03.2020 bei einem Lieferanten etwas bestellt und kann er nunmehr den Kaufpreis aufgrund von Umsatzeinbußen nicht zahlen, so ist er bis zum 30.09.2020 dazu berechtigt, die Zahlung zu verweigern, ohne dass ihm hieraus Nachteile (Verzugszinsen, Schadensersatz etc.) erwachsen. Auch kann der Schuldner, sofern er sich auf dieses Leistungsverweigerungsrecht beruft, nicht erfolgreich auf Zahlung des Kaufpreises verklagt werden.

Auf der anderen Seite wäre auch ein Lieferant, dessen Lieferketten abgerissen sind und der keine Waren von seinen Zulieferern erhalten hat, dazu berechtigt, die Lieferung zu verweigern. Nach dem bisherigen Gesetzesstand wäre ihm dies nur möglich, sofern ihm der Nachweis gelingt, dass er die Lieferschwierigkeiten nicht zu vertreten hat (er sich also insbesondere um zumutbare Alternativen zu seinen Zulieferanten bemüht hat).

Die Grenze des Leistungsverweigerungsrechts wird erst da gezogen, wo Verweigerung dem Gläubiger unzumutbar ist. Um das Gesetz nicht leerlaufen zu lassen, dürften hier an die Unzumutbarkeit entsprechend hohe Hürden zu stellen sein.

Damit fokussiert sich die Regelung auf die beiden offensichtlichen Hauptpflichten eines Kaufvertrages, nämlich die Übergabe der Kaufsache und die Zahlung des Kaufpreises.

Bei Lieferketten stellt sich jedoch ein weiteres nicht weniger relevantes Problem: Selbst, wenn die bestellte Ware nicht bezahlt werden muss, besteht dennoch eine Pflicht, die Ware abzunehmen?

Durch die Schließung von Gastronomiebetrieben und die Absage von Großveranstaltungen wie Jahrmärkten, sind die Lager gerade bei Lebensmittelgroßhändlern und Zwischenhändlern zum Teil überfüllt. Für weitere Lieferungen bestehen keine Lagerkapazitäten mehr. Wenn also vor dem 08.03.2020 eine Lieferung bei einem Zulieferer bestellt wurde, darf der Kunde dann neben der Zahlung des Kaufpreises auch die Annahme der Ware verweigern?

Nach § 433 BGB stellt die Abnahme der Kaufsache eine echte Vertragspflicht dar, d.h. der Lieferant hat einen Anspruch darauf, dass die Ware auch abgenommen wird. Verweigert der Kunde die Abnahme, so kann dies entsprechende Schadensersatzansprüche (z.B. zusätzliche Lagerkosten) begründen.

Nach dem Gesetzesentwurf, welches ganz abstrakt von „Leistungen“ spricht, ist schon fraglich, ob die Abnahme der Ware als Leistung (eine Leistung bedeutet grundsätzlich eine Vermögensmehrung auf Seiten des Gläubigers) im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Qualifiziert man die Abnahme der Kaufsache als Neben leistungspflicht, so gelangt man bei weiter Auslegung des Gesetzesentwurfes dazu, dass auch in Bezug auf die Abnahme der Sache ein Leistungsverweigerungsrecht bestehen kann.

Es ist jedoch fraglich, inwieweit hier auch an die Unzumutbarkeit auf Seiten des Lieferanten die gleichen Voraussetzungen zu stellen sind, wie bei Geldforderungen. Der Lieferant wird in der Regel kein Interesse daran haben, die bestellte Ware weiterhin bei sich zu lagern. Sofern sich mehrere Kunden auf ihr Leistungsverweigerungsrecht berufen, wird auch der Lieferant irgendwann mit seinen Lagerkapazitäten am Ende sein.

Mag es durch die versprochenen finanziellen Unterstützungen von Bund und Ländern möglich sein, Zahlungsziele für Warenlieferungen in zumutbarer Weise bis zum 30.09.2020 hinauszuschieben, gilt dies jedoch bei der Abnahme von Waren nicht ohne weiteres. Anders als bei der Kaufpreisforderung, welche nur „aufgeschoben“ wird, besteht bei verderblichen Lebensmitteln auch nur eine begrenzte Möglichkeit die Leistung später nachzuholen. Ist die Ware erst einmal nicht abgenommen und sind die Lagerkapazitäten überschritten, so ist unmittelbar der Schaden beim Lieferanten entstanden.

Es spricht daher einiges dafür, dass die Verweigerung der Abnahme der Ware für den Lieferanten unzumutbar ist. Dies hätte zur Folge, dass der Kunde sich nicht wirksam auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen kann, und er sich daher auch gegenüber Schadensersatzansprüchen nicht wirksam verteidigen könnte.

Der Gesetzesbegründung lässt sich hierzu nichts entnehmen. Vielmehr zeigt sich, dass primär und ausschließlich Zahlungsschwierigkeiten auf Seiten des Käufers in den Blick genommen wurden.

 

II.           Annahmeverzug bleibt unberührt

 

Auch wenn die Verweigerung der Annahme der Ware für den Lieferanten nicht unzumutbar ist, so bedeutet dies noch nicht, dass dem Kunden durch die vorgeschlagene Regelung wirklich weitergeholfen ist.

Die Annahme der Ware stellt nämlich nicht nur eine vertragliche Hauptpflicht dar, sondern ist auch eine Obliegenheit des Kunden, deren Nichterfüllung ebenfalls nachteilige Folgen haben kann.

Durch das Leistungsverweigerungsrecht erlischt die Pflicht zur Kaufpreiszahlung nicht, sondern wird lediglich bis (aktuell) zum 30.09.2020 aufgeschoben. Ab dem 01.10.2020 sind die Käufer also nach jetzigem Stand wieder zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet.

Die Zahlungspflicht setzt allerdings auch voraus, dass die gekaufte Ware bereits geliefert wurde oder Zug-um-Zug gegen Kaufpreiszahlung geliefert wird. Ohne Ware besteht also auch keine Zahlungspflicht.

Etwas anderes gilt jedoch beim sog. Gläubigerverzug. War der Lieferant zur Leistung bereit und hat der Kunde – wie oben beschrieben – die Ware jedoch nicht abgenommen, weil die eigenen Lagerkapazitäten ausgeschöpft waren, so befindet er sich mit der Annahme der Ware im Verzug. Da ein Verschulden des Käufers nicht erforderlich ist, um den Annahmeverzug zu begründen, ist auch unerheblich, aus welchem Grund er die Annahme verweigert hat.

Eine der gravierendsten Folgen des Annahmeverzuges ist, dass der Käufer selbst dann noch den Kaufpreis zahlen muss, wenn der Lieferant (sofern ihn hierfür kein Verschulden trifft) aufgrund des Untergangs der Ware (z.B. weil es sich um verderbliche Ware handelt) nicht mehr zur Lieferung verpflichtet ist.

Die Regelungen über den Annahmeverzug blieben jedoch von der geplanten Gesetzesänderung grundsätzlich unberührt.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Käufer, welche die Ware zunächst nicht annimmt, nach dem Ende des zeitlich begrenzten Leistungsverweigerungsrechts wieder zur Kaufpreiszahlung verpflichtet ist, ohne dass er jemals hierfür tatsächlich Ware erhalten hat, oder diese erhalten wird.

 

III.          Wird Kulanz in der Vergangenheit jetzt „bestraft“?

 

Zuletzt ist bei dem aktuellen Gesetzesentwurf zu bemängeln, dass er einseitig auf das Leistungsvermögen des Schuldners zum aktuellen Zeitpunkt abstellt. Für ein Leistungsverweigerungsrecht reicht es aus, dass der Vertrag vor dem 08.03.2020 geschlossen wurde und der Schuldner aufgrund der Folgen der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-coV-2-Virus aktuell nicht leistungsfähig ist.

Hierbei stellt sich bereit die Frage: Wie alt darf die Schuld sein, damit der Schuldner sich noch auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen kann?

Gerade im B2B-Bereich werden mitunter großzügige Lieferantenkredite eingeräumt. Es ist bei dauerhaften Geschäftsbeziehungen keine Seltenheit, dass an den Kunden Waren geliefert werden und er diese erst Monate später bezahlt. Vorübergehende Zahlungsausfälle werden häufig zu Gunsten der Fortführung der geschäftlichen Beziehungen hingenommen. Mitunter häufen Kunden so bei Ihrem Lieferanten Forderungen in Höhe von mehreren tausend Euro über einen Zeitraum von vielen Monaten an.

Aber kann ein Kunde sich in Bezug auf Waren, welche z.B. im Dezember 2019 bestellt und geliefert, aber noch nicht bezahlt wurden, in der aktuellen Situation auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen? Ist bei älteren Forderungen noch davon auszugehen, dass das Leistungshindernis auf der aktuellen Krisensituation beruht, oder bestanden hier bereits vorher Zahlungsschwierigkeiten? Muss der Lieferant, welcher zuvor bereits großzügig einen Zahlungsaufschub von mehreren Monaten gewährt hat, nunmehr weitere sechs Monate auf sein Geld warten?

Wo hier die Grenze zu ziehen ist, lässt das Gesetz offen, sodass es hier im Zweifel auf eine Einzelfallentscheidung des Richters ankommt. Damit wird der Rechtssicherheit kein Gefallen getan. Auch steht zu vermuten, dass aufgrund der rechtlichen Unsicherheit einige Lieferanten dazu neigen werden, auch ältere Forderungen zunächst nicht gerichtlich geltend zu machen – und das obwohl das Geld dringend gebraucht wird.

 

IV.         Ergebnis: Alternative Lösungswege über Störung der Geschäftsgrundlage

 

Obwohl der aktuelle Gesetzesentwurf ein wichtiges Problem der aktuellen Situation aufgreift, bleiben am Ende in ganz wesentlichen Punkten noch einige Fragen offen. Fragen, welche aufgrund der Tatsache, dass auch die Gerichte ihre Arbeit weitestgehend heruntergefahren haben, bis zum Ende der Corona-Krise vermutlich nicht mehr beantwortet werden.

Im Bereich von Lieferantenbeziehungen sollte daher in jedem Fall auch versucht werden alternative Lösungen zu finden. Eine Möglichkeit liegt darin, sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. So hat die Rechtsprechung einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unvorhersehbaren Ereignissen wie Kriegen oder plötzlichen Embargos angenommen. Auch die dynamische Ausbreitung des Corona-Virus und die hiermit verbundenen drastischen Maßnahmen stellen ein solch unvorhersehbares Ereignis dar.

Die Rechtsfolgen einer solchen Störung der Geschäftsgrundlage bestehen in der Anpassung des Vertrages bis hin zu einem Recht auf Rücktritt vom Vertrag und bieten ein erstes Einfallstor, um mit Ihrem Gläubiger in Verhandlungen über eine einvernehmliche Lösung zu treten.

 

Gerne unterstützen wir Sie hierbei rechtlich.